Merino, Alpaka und Cashmere haben viele in ihren Kleiderschränken. Doch wie sieht es mit Hundewolle – Chiengora – aus? Als wir das erste Mal von Hundewolle hörten, stoßen natürlich einige Fragen auf. Die beiden Gründerinnen von Modus Intarsia, Franziska und Ann Cathrin, haben uns einige spannende Fragen beantwortet.
Zum Hintergrund
Auf der Suche nach einem authentisch nachhaltigen Garn, stoß Ann Cathrin – Mitgründerin von Modus Intarsia (jetzt Chiengora). Einem Garn, welches aus der ausgekämmten Unterwolle von Hunden stammt. Bei ihrer Recherche fand sie heraus, dass allein in Deutschland 80 Tonnen Hundewolle, einem hochwertigen Rohstoff, weggeschmissen werden. In ganz Europa sind es sogar 500 Tonnen, die verschwendet werden. Statt auf diesen regionalen Rohstoff zurückzugreifen, importiert die Textilindustrie zig Rohstoffe aus anderen Ländern und macht daraus oft Mischmaterialien. Eine Problematik auf die auch immer wieder Textilingenieurin Franziska aufmerksam macht. Als Franziska Chiengora genauer unter die Lupe nahm und das Potenzial des hochwertigen Garns bestätigte, stieg sie mit in das Projekt ein. Zusammen wollen sie der wertvoll ausgekämmten Unterwolle ein zweites Leben schenken.
Die ganze Welt will Merino, Alpaka und Cashmere tragen. Jetzt möchte modus intarsia das Angebot mit Chiengora ergänzen. Einem Rohstoff, der genauso weich und flauschig ist wie klassische Wolle, aber ein reines Nebenprodukt ist und dadurch eine Klimabilanz von 0 hat.
Chiengora
Chiengora setzt sich aus dem französischen Begriff Chien für Hund sowie Gora für Angora, einer sehr weichen Wolle, zusammen. Die Wolle Chiengora ist also sehr flauschig, stammt aber von Hunden.
Ann Cathrin erklärt: “Neu ist das ganze nicht, denn aus der ausgekämmten Unterwolle, die das Tier im Winter warm hält, haben schon immer Leute zuhause per Hand ein bisschen Garn versponnen. Oft als Andenken für das eigene Tier. Neu ist allerdings – und diesen Ansatz verfolgt modus intarsia – den Rohstoff als Ressource anzubieten. Das ist eine systematische Innovation im Textilbereich. Wer diesen Garn in der Hand hält und vom Fach ist, weiß sofort, dass es sich um eine Edelfaser handelt.”
Kritik Massentierhaltung
Durch das Anbieten von Chiengora stoßen die beiden Gründerinnen immer wieder auf die Kritik. dass sie Anreize für die industrielle Massentierhaltung schaffen. Doch Chiengora ist durch den Zeit- und Kostenfaktor nicht profitabel genug für große Unternehmen.
“Wer Produkte aus Chiengora anbietet, braucht Geduld. Wenn man mit Chiengora schnelles Geld machen könnte, hätte das schon jemand gemacht.” sagen beide Gründerinnen. Je nach Hunderasse und Größe werfen die Hunde zwischen 250 – 800 g Wolle ab. Um 2 Tonnen Chiengora zu gewinnen, müssen die Gründerinnen bei knapp 4000 Menschen anrufen. Dies dauert bis zu einem Jahr. Ein Aufwand, den noch niemand bereit war einzugehen. Franziska und Ann Cathrin finden jedoch: “Wir leben in einer Zeit, in der wir es uns nicht mehr leisten können, Ressourcen zu verschwenden.”
Auch die Kosten sind ein Grund, dass Chiengora uninteressant für die Industrie ist. Franziska und Ann Cathrin sagen: “Wer selbst einen Hund hat, weiß, wieviel die Hundehaltung kostet. Bei mangelnder Pflege und schlechtem Futter, nimmt die Qualität des Felles ab.” Letztendlich zahlt man fast das 10-fache für die Haltung des Hundes als was man am Ende gewinnbringend für die Wolle erhält.
Alles, was nicht schnell genug ist und nicht gewinnmaximierend aufgebaut werden kann, ist für die Industrie uninteressant.
Ann Cathrin Schönrock
Herkunft der Wolle
Kurz und knapp gesagt, stammt die Wolle von deutschen Hundebesitzer:innen. “Anstatt die ausgekämmte Unterwolle wegzuwerfen, kann diese mit einem Gewicht von mindestens 500 g an uns geschickt werden. Das Versandlabel ist kostenlos. Da wir die Ressource wertschätzen, erhalten die Besitzer:innen von uns eine monetäre Vergütung.” erklärt Ann Cathrin.
Mittlerweile hat Modus Intarsia auch einige Partner, die Hundehaare annehmen. Die Sammelstellen sind so eine weitere Möglichkeit, die Hundewolle abzugeben.
Reinigungsprozess
Der Reinigungsprozess der Hundewolle ist nachhaltiger als gedacht: “Eine klassische Wolle, wie beispielsweise Merino hat Wollfett (Lanolin), welches zuerst ausgewaschen wird. Dies passiert in einem extrem (wasser)aufwendigen Prozess. Bei uns fällt dieser Reinigungsschritt komplett weg, sodass die Unterwolle im Gegensatz zu der klassischen Wolle nur einmal ausgewaschen werden muss. Die Reinigung passiert in einem kleinen Betrieb in Deutschland nach den höchsten Abwasserstandards. Apropos sind die Abwasserschutzgesetze für die Textilindustrie in Deutschland so streng, dass man vor Ort noch nicht einmal konventionelles Waschmittel einsetzen darf. Was bedeutet, wer zuhause mit den bekannten konventionellen Waschmitteln wäscht, haut mehr Chemie in die Umwelt als wir im Reinigungsprozess. Das ist auch einer der Gründe, wieso es nicht mehr so viel Textilindustrien in Deutschland gibt.” erklärt Franziska.
Wieso sie auf Mischmaterial setzen
Mischmaterialien wie Bio-Baumwolle und Polyester kommen immer öfter vor und machen keinen Sinn, da diese nicht recyclebar und biologisch abbaubar sind. Bei natürlichen Materialien ist das allerdings kein Problem, sodass sich die Gründerinnen größtenteils aus Kostengründen dafür entschieden haben. Ein weiterer Punkt ist, dass die Eigenschaften der Unterwolle möglichst gut ergänzt werden.
Franziska sagt: “100% Chiengora wäre einfach zu hochpreisig. Wir zahlen allein schon um die 45 Euro pro Kilo an die Hundehalter:in. Man kann sich ausrechnen, was dann schon alleine ein Pullover kosten müsste.” Die bisher verwendete Alpaka- und Merinowolle suchen die beiden allerdings bewusst aus und hatten Glück: “Die Alpakawolle haben wir von einem deutschen Hof aufgekauft und die Merinowolle ist von deutschen Schäfern.” sagt Franziska. Das Industrie Garn besteht aus einer Mischung aus Tencel lyocell, recycelter Wolle und Chiengora. So schaffen wir es die tollen Eigenschaften der Unterwolle möglichst gut zu ergänzen. Dazu haben die beiden auch ein Material für die Industrie nur aus Tencel Lyocell und Chiengora entwickelt, um ganz ohne andere tierische Fasern auszukommen.
Wertschätzung von Anfang an
Wertschätzung wird bei Modus Intarsia groß geschrieben. Von einer monetären Vergütung für die Hundebesitzer:innen, über die Spendenmöglichkeit an Organisationen bis zu den Stricksets schaffen sie eine Wertschätzung gegenüber des wertvollen Rohstoffes.
Ich bin davon überzeugt, dass wenn man sein Produkt selbermacht, auch viel mehr wertschätzt. Wer 40 Stunden einen Pullover strickt, wird ihn auch nicht nur zweimal tragen.
Ann Cathrin Schönrock
Tragbar auch bei Hundehaarallergie
“Tierhaarallergien werden nicht nur das Fell selbst, sondern durch Schuppen, Dreck etc. auf der Wolle ausgelöst. Da diese im Reinigungsprozess eliminiert werden, sind die Produkte auch bei Personen mit einer Hundeallergie tragbar.” sagt Franziska.
Geruchsneutraler Garn
Riecht man dann eigentlich nach nassem Hund? zählt zu den meist gestellten Fragen von modus intarsia. Darauf antworten sie: “Natürlich nicht. Sowohl der Handstrick als auch der Industriegarn wird sorgfältig gereinigt und ist geruchsneutral.” Ann Cathrin ergänzt: “Es stellt ja auch niemand in Frage, dass ein Cashmere Pullover nach Ziege riecht. Und das obwohl nasse Ziegen sehr viel mehr riechen als Hunde.”
Fazit
Allein bei der Beantwortung der Fragen, war klar: Diese Innovation muss unterstützt werden! Franziska und Ann Cathrin haben etwas erschaffen, was lange gefehlt hat: einen authentisch nachhaltigen Garn, welcher regional als Nebenprodukt anfällt und weitere Ressourcen spart. Chiengora ist gut für uns und gut für die Umwelt. Auch, dass die Massentierhaltung nicht umsetzbar bzw. zu profitabel ist, beruhigt uns. Denn so setzen die beiden Impulse für mehr Wertschätzung und eine nachhaltige Zukunft in der Textilbranche. Weitere spannende Interviews findet ihr in unserer Kategorie Interview.